Wie schon erwähnt erlernte HO HONG BUEH von SHA CHENG SUN 24+4=28 Handformen. Die vier Formen wurden als „Vier Hohe Formen“ bezeichnet. Die 24 Formen setzen sich aus Kampfformen und Meditationsformen zusammen. Im Laufe der Zeit wurden sie verändert und es kamen neue hinzu. HO BEK SING verkleinerte die Anzahl der Formen auf insgesamt 12. Unverändert ließ er die vier Tierformen und die Vier Hohen Formen. Die restlichen 20 Formen reduzierte er auf vier Formen, die die Grundlagen, aber auch die Mittelstufe des Ho Gar Tai Chi bildeten. Diese vier Formen wurden nicht komplett neu erschaffen, sondern vier schon bestehende Formen wurden verändert und mit neuen Elementen versehen.
Die 12 Formen nach HO BEK SING waren:
Xiao Lu Quan
Zhong Lu Quan
Da Lu Quan
Tai Da Lu Quan
Ba Hou Quan
Huang Hu Quan
Tu She Quan
Bai He Quan
Si Xiang Quan
San Ci Quan
Yin Yang Quan
Wu Ji Quan
Dazu kamen noch drei Partnerformen:
Bai He Dui Da Ba Hou Quan
Bai He Dui Da Tu She Quan
Yin Yang Dui Da Quan
XIAO LU QUAN, die erste Form
Die erste Form, die ein Schüler normalerweise heute zu Beginn seines Ho Gar Tai Chi Trainings erlernt ist Xiao Lu Quan. Sie ist im Anhang ausführlich beschrieben. Xiao Lu Quan wurde früher einfach auch „Kinderform“ genannt. Da Ho Gar Tai Chi ausschließlich nur in der Familie weitergegeben wurde, wurde diese „einfache“ Form den Kindern der HO Familie schon in sehr jungen Jahren beigebracht. Man war der Meinung, daß man ca. 10 Jahre braucht um eine Handform zu meistern. Und man begann mit dem Erlernen der nächsten Form erst nachdem man die vorherige Form perfekt beherrschte. So wurden die Kinder schon mit ca. drei Jahren an die erste Form herangeführt.
ZHONG LU QUAN, die zweite Form
Zhong Lu Quan ist die zweite Form des Ho Gar Tai Chi Chuan. und gleichzeitig die wichtigste. Zhong bedeutet Mitte, was im Ho Gar verschiedene Bedeutungen besitzt.
Die einfachste Bedeutung bezieht sich dabei auf die Länge der Form. Betrachten wir die vier Grundformen des Ho Gar, so ist Zhong Lu Quan länger als Xiao Lu Quan und kürzer als Da Lu Quan ( bezogen auf die Anzahl der Grundmuster ). Sie liegt also in der „Mitte“. Tai Da Lu Quan wird hierbei nicht berücksichtigt, da sie einen besonderen Status einnimmt. Die zweite Bedeutung von „Mitte“ sagt, daß aus dieser Form TAI CHI abgeleitet werden kann, d.h. alle wichtigen Grundbegriffe in ihr enthalten sind. Rein theoretisch kann man also, wenn man die Grundbegriffe richtig verstanden hat und sie interpretieren kann, aus dieser Form durch Veränderung der Bewegungen einen neuen Stil entwickeln, was nur mit Kenntnis der ersten Form – Xiao Lu Quan – nicht möglich ist.
Zhong Lu Quan ist im Ho Gar Tai Chi die Form, die in ihrer Geschichte am meisten verändert wurde. Hauptbestandteil von Zhong Lu Quan ist die ältere Form Zheng Lu Quan (Richtige Faust). daneben sind noch Shi San Shi (13 Grundstellungen) und Teile von Liu Shi Si Yuan Ze (64 Grundprinzipien) darin enthalten.
Prinzipien und Grundmuster wurden in Zhong Lu Quan am häufigsten unterschiedlich ausgeführt. Die heutige Version geht auf HO HENG GO zurück. Gleichzeitig ist diese Version der Form diejenige, die den Bewegungen der anderen, nördlichen Tai Chi Schulen wie Yang, Chen und Sun noch am meisten ähnelt. Jedoch finden sich auch in dieser Form Elemente wieder, die in keiner der nördlichen Schulen enthalten sind. Die Form besitzt einen sich ändernden Rhythmus von langsamen und schnellen Bewegungen, der sich nach den einzelnen Grundmustern richtet. Sie unterscheidet sich damit von der ersten Form Xiao Lu Quan . Hier ist ein Geschwindigkeitsanstieg zur Mitte der Form auszuführen, der dann zum Ende wieder abfällt. Zhong Lu Quan entspricht als Basisform der 1. Form des Chen Stils, sowie der Langformen der anderen nördlichen Schulen.
DA LU QUAN, die dritte Form
Da Lu Quan ist die dritte Form des Ho Gar Tai Chi Chuan. Auch sie setzt sich wieder aus älteren Formen zusammen. Hauptbestandteil ist hierbei Kuai Lu Quan, die schnelle Faust, neben Chang Quan (Lange Faust), Hua Quan und Cha Quan. Da Lu Quan wird wesentlich schneller als die beiden ersten Formen ausgeführt. Daher wird sie auch als „Die Schnelle Form“ bezeichnet. Der Rhythmus der Form richtet sich – ähnlich wie bei der zweiten Form – nach der Reihenfolge der Grundmuster. Auffällig sind die vielen „harten“ Grundmuster in ihr, d.h. Grundmuster bei denen deutlich Qi nach außen gesendet wird. Dies sind meist Grundmuster, die eine sich schließende Faust benutzen, wie KAO MA BU, QI CUN KAO, usw. Durch diese optisch hart ausgeführten Techniken wirkt die ganze Form härter als die erste und zweite Form. Sie ähnelt eher der zweiten Form der Chen-Schule. Da Lu Quan enthält ebenfalls wesentlich mehr „kampfbezogene“ Grundmuster als die beiden ersten Formen. Tatsächlich wurde Da Lu Quan auch als „Kampfform“ im Ho Gar Tai Chi bezeichnet und benutzt.
TAI DA LU QUAN, die vierte Form
Tai Da Lu Quan (die größte Form) heißt nicht nur so, sie ist es auch. Sie ist die längste, heute bekannte Tai Chi Form. Tai Da Lu Quan gliedert sich in acht Hauptteile, die eigentlich selbst schon jeder für sich länger sind als alle anderen bekannten Tai Chi Formen. Alle acht Teile sind in der Reihenfolge der in ihnen enthaltenen Grundmuster gleich, lediglich die räumliche Richtung in der sie ausgeführt werden ist verschieden. Jeder dieser acht Hauptteile besteht aus ca. 254 bis 275 Einzelgrundmuster (je nach Zählweise, alte Zählweise 256), die wiederum in acht Teile aufgegliedert sind. Damit besteht die gesamte Form Tai Da Lu Quan aus 2048 + 2 (Start- und Schlußmuster) = 2050 Grundmuster. Tai Da Lu Quan stammt von der alten „Man Lu Quan“ (Langsamer Weg) Form ab. Alle Grundmuster werden extrem langsam ausgeführt., vergleichbar mit der Ausführung der Yang-Form in Taiwan. Korrekt ausgeführt dauert die gesamte Form etwa acht Stunden. Daher wurde die komplette Tai Da Lu Quan früher nur einmal im Monat (30 Tage) geübt. Die Ausführungen der Grundmuster sind vergleichsweise mit Da Lu Quan meist sehr kurz und eng. Sie ähneln damit dem Wu- und Wu Hao Stil. Ein Großteil der Grundmuster wird auch sehr hoch ausgeführt, was diesen Eindruck noch verstärkt. Im Ho Gar Tai Chi ist dies – mit Ausnahme der hohen Formen – die Form , in der Meditation, Chi-Fluß und Atmung am intensivsten geübt wird.
TU SHE QUAN, die fünfte Form
Ursprünglich war Tu She Quan – die Tai Chi Schlangenform – die siebte Form des Ho Gar Tai Chi , sie stand also in der Rangfolge relativ weit oben. Da jedoch Ba Hou Quan und Huang Hu Quan nach HO HENG GO nicht mehr vollständig überliefert wurden, wird Tu She Quan nun als fünfte Form unterrichtet. Der Sage nach gilt Tu She Quan als erste Ursprungsform des Tai Chi. Aus ihr und aus Bai He Quan – die zweite Ursprungsform – sollen die 13 Grundprinzipien oder Stellungen entstanden sein, die später zu einer Form zusammengefügt wurden. Tu She Quan sieht bei weitem nicht wie eine der heute bekannten Tai Chi Formen aus. Bei ihrer Ausführung ist man eher geneigt an eine moderne Wu Shu Form zu denken, die mit Elementen des „Betrunkenen Boxens“ vermischt wurde. Viele Bewegungen werden jedoch weicher ausgeführt und im Gegensatz zu Schlangenformen aus anderen Stilen findet man wenig spektakuläre, artistische Aktionen. Typisch ist jedoch der „schlängelnde“ Charakter des gesamten Körpers, der immer wieder ausweichende Bewegungen ausübt. Nach HO HENG GO besteht die Form aus 109 Grundmustern. Vor kurzem wurde eine erheblich verkürzte Variante dieser Form – als Wu Dang Tai Chi Schlangenform benannt – in Amerika publiziert.
„Bai She Shi Shu“, das Basis-Grundmuster der Schlangenform und des Ho Gar Tai Chi Chuan überhaupt.
BAI HE QUAN, die sechste Form
Bai He Quan gehört – wie auch Tu She Quan – zu den Ursprungsformen des Tai Chi und wird im Ho Gar Tai Chi als zweite Ursprungsform genannt. In der klassischen Reihenfolge stand sie als achte Form über Tu She Quan. Jetzt, nach Wegfall von Ba Hou Quan und Huang Hu Quan, ist sie die sechste Form und gleichzeitig die letzte Tierform. Die Ausführung der Form erinnert – ähnlich wie auch bei Tu She Quan – eher an eine moderne Wu Shu Form. Die Bewegungen des Kranichs werden sehr weich und grazil ausgeführt und auch ein Kampfsportlaie erkennt darin sofort einen Kranich wieder. Während Kranich Bewegungen im Shaolin System eher kurz sind, ist dieses im Tai Chi bzw. Wu Dang nicht der Fall. Hier findet man eher Bezüge zu Kranich Formen der Lama-Schulen. Ob hier in die eine oder andere Richtung eine Beeinflussung stattfand, ist aber heute nicht mehr generell zu sagen.
„Bai He Liang Shi“, ein Basis-Grundmuster der Kranichform in der alten Version des Ho Gar Tai Chi Chuan.
YIN YANG QUAN, die siebte Form
Yin Yang Quan ist die dritte Form der sogenannten vier Hohen Formen. Früher die 11. Form ist sie heute die Siebente. Die Hohen Formen stellen im Ho Gar Tai Chi eine Besonderheit dar. In ihnen werden bestimmte, eben „hohe“ Prinzipien stärker herausgehoben und vermittelt. Im Falle von Yin Yang Quan ist dies ein dynamisches Gleichgewicht zwischen Yin und Yang. Versucht wird, dieses Gleichgewicht während der Ausübung der Form immer aufrecht zu erhalten.
WU JI QUAN, die achte Form
Wu Ji Quan ist die vierte und höchste Form der vier hohen Formen. Sie stellt die höchste Stufe im Tai Chi dar. Im Ho Gar wurde Wu Ji Quan nur an den jeweiligen „Kopfmeister“ – also den höchsten Meister im System – weitergegeben. Die Ausübung dieser Form unterscheidet sich grundlegend von den anderen Formen, baut jedoch auf diese auf. Früher die 12. Form ist sie durch Wegfall der anderen Formen heute die achte und letzte Form.
Die verlorenen Formen : BA HOU QUAN, HUANG HU QUAN, SI XIANG QUAN und SAN CI QUAN
Aufgrund der nur sehr „kurzen“ Zeit, die SOU WAI KEUNG von HO HENG GO lernte, konnte dieser nicht mehr alle 12 Formen erlernen. HO HENG GO wußte, daß er bald sterben würde und unterrichtete SOU WAI KEUNG daher nur die zwei Hohen Tierformen und die letzten zwei Hohen Formen seiner Schule. Die fehlenden Formen : Ba Hou Quan, Huang Hu Quan, Si Xiang Quan und San Ci Quan wurden ihm zwar gezeigt, aber er hatte keine Zeit mehr, diese richtig zu lernen. So wissen wir heute recht wenig darüber. Von Ba Hou Quan ist bekannt, daß in den Bewegungen teilweise kurze Sprünge und Hüpfer auftraten. Untypisch jedoch für eine Affenform sollen auch lange, weitausholende Techniken vorhanden gewesen sein. Huang Hu Quan dagegen soll überwiegend aus kurzen Bewegungen mit meist geradlinigen Schritten bestanden haben. Si Xiang Quan soll als Hauptbestandteil die alte Form Bao Chui Quan (Einwickelnde Hammerfaust) innehaben. San Ci Quan soll aus der alten Form Tian Tu Ren Quan (Himmel-Erde-Mensch) bestanden haben.
Die alten Formen
Im Ho Gar Tai Chi existierten verschiedene alte Formen, aus deren Elementen die heute bekannten Formen zusammengesetzt wurden. Nachstehend ist eine Liste dieser alten Formen aufgeführt, die jedoch nicht vollständig ist.
LAN QUE WEI BA GUA QUAN |
Den Vogel am Schwanz packen, in 8 Richtungen |
LAN QUE WEI BA CI QUAN |
Den Vogel am Schwanz packen, acht mal |
SHI SAN SHI |
13 Grundstellungen |
LIU SHI SI YUAN SE |
64 Grundprinzipien |
SI ZHI BU GONG LIAN XI |
Seidenweber Übungen |
ZI DAI SHEN ZHAN LIAN XI |
Die seidene Schärpe spannen |
WU DANG SHAN SHEN LIAN XI |
Meditation am Berg Wu Dang |
ZHENG LU QUAN |
Richtige Faust |
KUAI LU QUAN |
Schnelle Faust |
MAN LU QUAN |
Langsame Faust |
BAO CHUI QUAN |
Einwickelnde Hammer Faust |
TIAN TU REN QUAN |
Faust des Himmels, der Erde und des Menschen |
TAI KONG QUAN |
Faust des Universums |
SI FANG XUAN FENG |
4 Richtungen und ein Wirbelwind |
CHANG QUAN |
Lange Faust |
HUA QUAN |
Hua Faust |
HE QUAN |
He Faust |
CHA QUAN |
Cha Faust |
DUAN QUAN |
Kurze Faust |
HUNG QUAN |
Hung Faust |
LIU QUAN |
Liu Faust |
BAI HE QUAN |
Weiße Kranich Faust |
TU SHE QUAN |
Giftschlangen Faust |
BA HOU QUAN |
Acht Affen Faust |
HUANG HU QUAN |
Gelber Tiger Faust |
QING LONG QUAN |
Grüner Drache Faust |
TIAN BIAN |
Peitschen des Himmels |
Moderne Formen
Das Ho Gar Tai Chi System, derzeit bestehend aus 8 Handformen, ist auch heute noch nur über einen Zeitraum von mindestens 12 bis 15 Jahren bei einmaligen Training pro Woche erlernbar. Für einen Schüler, der sich erst einmal im System umsehen möchte ist dies natürlich ein sehr langer Zeitraum. Da jedoch alle acht Handformen unterschiedlich aussehen und auch verschiedene Dinge lehren, bleibt ihm eigentlich nichts anderes übrig als diese Zeit zu investieren. Zum anderen wurden gerade in den letzten Jahren in den anderen Tai Chi Stilen immer mehr sogenannte „Wettkampfformen“ entwickelt, die den jeweiligen Stil bei Vorführungen repräsentieren sollen aber auch tatsächlich bei Formen-Wettkämpfen zu einer Angleichung der verschiedenen Ausführungen eines Stiles bzw. einer Form führen sollen.
Dies führte auch hier zu der Idee, eine vollkommen neue Ho Gar Tai Chi Form zu kreieren. Grundlage dieser Form sollten die ersten sechs Formen des überlieferten Ho Gar Tai Chi sein, also Xiao Lu Quan, Zhong Lu Quan, Da Lu Quan, Tai Da Lu Quan, Tu She Quan und Bai He Quan. Auf die beiden hohen Formen Yin Yang Quan und Wu Ji Quan wurde bewußt verzichtet, da diese eigentlich nur an die hohen Schüler bzw. Lehrer weitergegeben werden, die später einmal das System weiterführen werden. Weiterhin sollte diese Form nicht zu lang sein, trotzdem aber repräsentativ für das System.
So wurde eine Form entwickelt, die aus insgesamt 62 Grundmustern besteht. Muster 01 ist QI SHI, die Eröffnung. Sie setzt sich ebenfalls auf einzelnen Grundmustern zusammen, die in den verschiedenen sechs Formen vorkommen. Grundmuster 62 ist SHOU SHI, das Schließen der Form. Auch dieses Grundmuster setzt sich aus (3) Einzelgrundmuster zusammen. Den Mittelteil bilden also die Grundmuster 02 bis 61, insgesamt also 60 Grundmuster. Je 10 davon gehören zu einer Form und bilden einen Satz. Die neue Form, die den Namen : Liu Shi Er Zong He Jing Sai He Jia Tai Chi Chuan trägt besteht demnach aus sechs Sätzen, die den Einzelformen zugeordnet werden können. Der erste Satz beinhaltet also 10 Grundmuster der ersten Form Xiao Lu Quan, der zweite Satz 10 Grundmuster der Zweiten Form Zhong Lu Quan usw.
Ob sich diese Form durchsetzt und Maßstäbe setzt wird die Zukunft zeigen. Der Schwierigkeitsgrad liegt jedenfalls oberhalb der Zweiten Form Zhong Lu Quan, obwohl Liu Shi Er Zong He Jing Sai Quan wesentlich weniger Grundmuster enthält. Desweiteren enthält sie noch eine Besonderheit. Sie wurde so konstruiert, daß sie nach dem 41 Grundmuster (also nach dem 4. Satz) mit dem Schließungsgrundmuster SHOU SHI abgebrochen werden kann und somit eigentlich in zwei Teile geteilt werden kann. So könnte man beispielsweise diese 42. Form als Wettkampfform deklarieren und die Gesamtform als Vorführform.
Ob weitere Ho Gar Tai Chi Formen entwickelt werden wird auch hier die Zukunft zeigen. So wäre es durchaus denkbar, eine weitere „kombinierte Form“ aus vielleicht 122 Bewegungen zu konstruieren oder eine Kombinationsform aus 5. und 6. Form (Schlange-Kranich Tai Chi).